28.11.2022 / Lesezeit: 7 Minuten
Hartmut Drosch ist verantwortlich für die Instandhaltung des Transportsystems und die Netzausbaumaßnahmen bei terranets bw. Im Gespräch gibt er einen Einblick, welche Auswirkungen der Angriffskrieg auf die Ukraine auf das Unternehmen und die Netzausbaumaßnahmen hat und wie terranets bw damit umgeht.
Herr Drosch, wie hat sich Ihr Arbeitsalltag bei terranets bw seit Beginn des Angriffs Russlands auf die Ukraine verändert?
Die Zuverlässigkeit der Gasversorgung ist 2022 wie nie zuvor in das gesellschaftliche Bewusstsein gerückt. Als Fernleitungsnetzbetreiber in Baden-Württemberg und Hessen sind wir seit Anfang des Jahres noch intensiver im Austausch mit den anderen Fernleitungsnetzbetreibern in Deutschland, der Bundesnetzagentur, den Behörden und den Stadtwerken und Verteilnetzbetreibern. Wir beobachten die Lage mit höchster Aufmerksamkeit und teilen unsere Einschätzung der Versorgungslage seit Herbst laufend auf unserer Website. Daneben prüfen wir seit einigen Monaten, welche weiteren Auswirkungen kurz- und langfristig auf uns zukommen.
Was haben Ihre Überprüfungen ergeben?
Kurzfristig sehen wir eine Anspannung auf unseren Beschaffungsmärkten. Wie Sie vermutlich auch in den Medien gelesen haben, sind die Preise für bestimmte Materialien wie Stahl deutlich gestiegen. Für unsere aktuell laufenden Bauprojekte haben wir das Material glücklicherweise frühzeitig beschafft, so dass wir hier nicht in Zeitverzug kommen. In der langfristigen Betrachtung haben wir überprüft, wie sich der Bedarf an Gastransport verändern wird und wie sich dies auf unsere Netzausbaumaßnahmen auswirkt. Und wir haben uns entschieden, unsere laufenden Vorbereitungen auf die Umstellung auf Wasserstoff zu beschleunigen und besonders die Region Rhein-Neckar und den Großraum Stuttgart ab 2030 an die nationale und europäische Wasserstoff-Infrastruktur anzubinden.
Was war die Grundlage für diese Überprüfung?
Grundlage für unsere Überprüfung sind die neusten Modellierungen des Szenariorahmens des Netzentwicklungsplans Gas. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hat gemeinsam mit den Fernleitungsnetzbetreibern abgestimmt, dass der Bedarf an Gastransportleistung, der sogenannte Szenariorahmen, der im Januar 2022 zuletzt durch die BNetzA bestätigt wurde, neu berechnet wird. In die neue Modellierung sind die Veränderungen der Bezugsquellen und -routen eingeflossen. D.h. konkret: mehr Bezug über Länder, die nördlich und westlich von Deutschland liegen und der Bezug über LNG-Terminals, die an der Küste von Nord- und Ostsee entstehen. Das Ergebnis war eindeutig: auch bei den Veränderungen der Bezugsquellen sind unsere Netzausbaumaßnahmen für die sichere Versorgung mit Wärme und Strom notwendig.
Sie verfolgen den Bau der SEL also weiter?
Ja. Auch für den Transport von Gas über LNG-Terminals in Deutschland oder aus Belgien und den Niederlanden nach Baden-Württemberg und Hessen wird eine Verstärkung der Nord-Süd-Transportverbindung gebraucht, wie sie u. a. mit der SEL umgesetzt werden soll. Gleichzeitig haben wir uns angeschaut, ob die Dimensionierung der SEL noch passend ist. Bei ihrer jährlichen Meldung des aktuellen und langfristigen Bedarfs haben unsere Kunden ein starkes Wachstum des Bedarfs bestätigt. Die Meldungen in diesem Sommer haben aber gezeigt, dass das Bedarfswachstum ab 2029 leicht abflacht. Hierdurch hat sich für uns die Chance geboten, die Dimensionierung der SEL anzupassen.
Was bedeutet das konkret?
Wir haben uns entschieden, die SEL, bis auf einen rund 24 km langen Abschnitt von Heilbronn nach Löchgau, mit einem Durchmesser von 1 Meter statt 1,2 Meter umzusetzen.
Rechnen Sie mit einem weiteren Rückgang der Bedarfssteigerung in den nächsten Jahren, der Auswirkungen auf die SEL haben würde? Und was wird dann aus Ihren Plänen, die SEL auf den Transport von Wasserstoff umzustellen?
Deutschland hat sich dafür entschieden, zunächst aus der Atom- und Kohleenergie auszusteigen. Das führt in der Konsequenz zu einer verstärkten Nachfrage nach Gastransportbedarf, insbesondere für die Stromerzeugung in Gaskraftwerken. Wenn wir den gemeinschaftlichen vereinbarten Weg zur Klimaneutralität so umsetzen, erwarten wir keinen signifikanten Rückgang. Dass der nationale Netzausbau koordiniert und entsprechend der jeweils gegebenen Rahmenbedingungen erfolgt, ist über den Prozess des Netzentwicklungsplan Gas sichergestellt. Und bei der Anpassung der Dimensionierung haben wir selbstverständlich auch sichergestellt, dass der Leitungsdurchmesser für den künftigen Transport von Wasserstoff ausreichend sein wird.
Welche konkreten Auswirkungen hat die Verringerung des Durchmessers der SEL? Reduziert sich dadurch auch der Eingriff in Umwelt, Natur und Nutzflächen?
Auch für eine Leitung mit einem Durchmesser von 1 m ist für den Bau regulär ein Arbeitsstreifen von 34 m Breite und für den späteren Betrieb ein Schutzstreifen von 10 m erforderlich, in welchem bestimmte Regelungen zum Schutz der Leitung gelten.
Wird sich etwas am Zeitplan ändern?
Nein. Die SEL wird für die sichere Versorgung mit Wärme und Strom gebraucht. Im Zuge des Ausstiegs aus der Kohleverstromung brauchen wir in Deutschland Gaskraftwerke für die Systemstabilität im Stromnetz. Und für diese Umstellung in Baden-Württemberg brauchen wir die SEL. Deswegen arbeiten wir weiter mit Hochdruck daran, die Leitung zu realisieren und die Energiewende zu ermöglichen – zunächst mit Erdgas, zukünftig mit Wasserstoff.